Lunch im [aend]. Wenn der Alltag Pause hat.

Michaela Reisel

Neun Gänge zu Mittag isst man nicht jeden Tag. Bei Fabian Günzel kann man aber eine Ausnahme machen.

Die Mollardgasse 76 hat sich veraendert, seit ich das letzte Mal hier war. Als ich Fabian Günzel Mitte Jänner auf der Baustelle des getroffen habe, war die Küche noch nicht eingebaut, der Hausherr selbst packte mit an, um die Fertigstellung seines ersten eigenen Restaurants voranzutreiben. Seit Mitte März ist geöffnet, Kritiker finden durch die Bank lobende Worte für den puren, straighten Stil des Deutschen. Günzel, vormals Palais Coburg und Das LOFT im Sofitel, erkochte bekanntlich schon vor seinem 30. Geburtstag 2 Hauben. Restaurantleiter, Sommelier und freundliches Gesicht gleich beim Eintreten ist Simon Schubert (vormals Mraz & Sohn).

Ein großzügiger Raum mit Holztischen, dunklen Wänden, ein Blickfang die freigelegten Rundbögen mit rohen Backsteinen. Und quasi jeder Tisch ein Chef’s Table, wenn man so will – dank offener und in den Gästebereich hineinragender Küche sind der Chef und die Mannschaft für alle Besucher jederzeit sichtbar.

Angeboten wird ausschließlich ein Menü, das alle paar Wochen wechselt. Man wählt die große (11 Gänge um 120 € & Wein 79 €) oder die kleine Variante (9 Gänge um 99 € & Wein 59 €). Mittags hat man auch die Option auf eine Kurzversion um 39 €. Aber da ich nicht gekommen bin, um schnell wieder draußen zu sein, wähle ich die neun Gänge. Allerdings ohne volle Weinbegleitung, schließlich ist es wochentags und am Nachmittag geht’s wieder zurück ins Büro. Aber erstmal hat der Alltag Pause.

Das mit dem einen Menü sieht man in einzelnen Wiener Restaurants, Günzel war in Sergio Hermans The Jane (Antwerpen) davon beeindruckt. Auch in puncto Schnelligkeit, in der die einzelnen Gänge serviert werden, ließ man sich von Hermans Spitzenrestaurant inspirieren. Zwei Produkte als Protagonisten der Gerichte, verbunden durch ein „&“ oder als Lautsprache vom Englischen „und“ ein „“. Damit sind Name und Konzept klar und der Genuss startet in drei, zwei, eins.

Aend so it begins

Als Aperitif reicht Simon Schubert einen Champagne Rosé de Saignée Brut. Bis auf wenige ausgewählte Tropfen bleibe ich aber erstmal beim Wasser. Ich muss nie selbst nachfüllen, Schubert ist aufmerksam und unaufdringlich, mit Witz und Charme dabei, sich um die Gäste zu kümmern.

Alles, was ich zum Essen brauche, finde ich in der Bestecklade rechts unter meinem Tisch. Das ruft zwei Assoziationen in mir hervor. Zum einen erinnert es ans Relae in Kopenhagen. Aber auch an früher, an Besuche bei der Oma, die im massiven Holztisch ebenfalls eine Bestecklade versteckt. Finde ich super.

Viel Zeit zum Sinnieren bleibt nicht, flugs serviert Schubert Radieschen & Wasabi. Mit den Fingern könne ich das Radieschen durch die Mayonnaise ziehen, werde ich aufgefordert. Ich fühle meinen ersten Eindruck der entspannten Stimmung und ja, der coolen Gastgeber bestätigt.

Ich bin noch nicht fertig, als schon Hühnerhaut & Paprika und Rhabarber & Estragon auf den Tisch kommen. Die Hühnerhaut ist knusprig und ein bisschen fettig – super! Bevor ich mich ihr und der Rhabarber-Kaltschale zuwende, einmal mit dem Brot – „Joseph & Josephine“, helles und dunkles Sauerteigbrot in einem Laib – in den Radieschensud getunkt.

Weiter geht’s mit Thunfisch & Zitrone: unter dem Thunfisch rote Rübe, darüber Amalfi-Zitrone und ein bisschen Soja. Wunderbare Komposition. Die Zitrus-Komponente in zweierlei Struktur. Ob ich es eilig habe, fragt Schubert und fährt die Geschwindigkeit der Gänge herunter. Nein. Draußen regnet es, drin ist‘s gemütlich. Ich kann zusehen, wie Günzel dem nächsten Gang den letzten Schliff verleiht.

Kabeljau & Alge: dazu Erbsen und Beurre Blanc. Dazu Weißwein aus Savoyen, einem kleinen, oft übersehenen Weingebiet. Marie & Florian Curtet 2016 Savoie Autrement Blanc. Der erste Wein der beiden, erzählt Schubert. Momentan umfasst die Weinkarte des etwas über 200 Positionen. Man wolle „gesund wachsen“, nicht gleich mit 600 Positionen beginnen. Die Säure des Weins, die sanfte, salzige Komponente des gedämpften Fischs und die bissfesten Erbsen. Dazu die herrliche Buttersauce, die sich wieder wunderbar zum Tunken eignet. Einer meiner Lieblingsgänge.

Als Zwischengang Morchel & Amaretto: „Für den Kaffeeliebhaber“, meint Schubert, auf die Kaffee Sabayon über den Donaumorcheln Bezug nehmend. Kaffee trifft bei mir genau ins Schwarze, wenn auch in ungewöhnlicher Weise hier. Auch der Amaretto passt gut. Das Gericht ist salzig, pikant, süß. Wie kommt Günzel auf die Idee?

„Jetzt gibt’s ein bisschen Werkzeug“, kündigt Schubert den Hauptgang an. Rind & Melanzani. Rind vom Höllerschmid Manfred, daneben Melanzani, ein Highlight ist auch die Tartelette mit geschmortem Ochsenschlepp. Die ist wirklich super und bleibt in Erinnerung.

Zur Erfrischung ein Schälchen mit Tomate & Himbeer. Blanchierte Tomate und Himbeeren unter Basilikumeis und einem Schaum, der neben weißem Tomatensaft seine Konsistenz Joghurt verdankt. Die Tomate finde ich fast ein bisschen zu dominant im Geschmack, aber das Basilikumeis ist genial.

Als Dessert Apfel & Nougat. Dazu Süßwein, wieder aus Frankreich, das solle aber keine Tendenz zeigen, so Schubert. Der Wein ist ein bisschen herb, ein bisschen süß, aber nicht zu sehr. Der Apfelring befindet sich unter einer Scheibe Filoteig. Das Nougat ist warm, damit von der Temperatur ein Kontrast zum kalten Bourbon-Vanilleeis auf dem knusprigen, dünnen Teig. Der ist, wie ich finde, wieder am besten mit den Händen zu essen. Wo, wenn nicht hier, denke ich mir in Hinblick auf das Radieschen, das mit den Fingern durch die Mayonnaise zu ziehen ja auch ein netter Anfang war. Für die übrigen Komponenten aber gleich nochmal in die Bestecklade gegriffen.

Süßes zum Abschluss: geeiste Kumquathälfte, Vollmilchschokolade-Ganache mit Ingwer und Zartbitterschokolade mit Quinoa. Dazu ein kleiner Schwarzer von der Kaffeerösterei Alt Wien, kräftig und würzig durch 15% Robustaanteil. Auszeit gelungen und Wiederkehr garantiert.

 

Mollardgasse 76
1060 Wien

http://aend.at/

MO-FR 12-15 Uhr & 19-23 Uhr