Modulare Küche gegen Mangelernährung

 Wien (Culinarius) „Modulare Küche“ gegen Mangelernährung: Nach OP oder Chemo den Appetit wiederentdecken

„Mangelernährung ist ein im Spitalsalltag oft unterschätztes, aber sehr verbreitetes Problem. Je nach Studie sind zum Beispiel mehr als die Hälfte der Patienten nach Krebsoperationen davon betroffen, generell können wir nach chirurgischen Eingriffen bei rund einem Drittel der Operierten von Mangelernährung ausgehen, in besonderem Maß sind Patienten mit Operationen im Bauchraum betroffen “, so Prim. Prof. Dr. Heinz Steltzer, Vorstand der Anästhesie und Intensivmedizin im Unfallkrankenhaus Meidling. Die unzureichende Versorgung des Körpers mit den wesentlichen Nährstoffen hat, medizinisch gesehen, problematische Konsequenzen: „Wissenschaftliche Studien kommen zum Ergebnis, dass Mangelernährung generell mit Spitals-Komplikationsraten zwischen 40 und 50 Prozent sowie einer zweifach verlängerten Aufenthaltsdauer im Krankenhaus einhergehen“, so Prim. Steltzer. „Da ist es schwer nachvollziehbar, warum in nur 20 Prozent der Spitalsabteilungen ein konsequentes Screening auf Mangelernährung durchgeführt wird.“

Deutsche Mediziner haben gemeinsam mit dem Münchner Spitzenkoch Alfons Schuhbeck das Konzept einer „modularen Küche“ mit hochkalorischen, einfach zuzubereitenden Speisen entwickelt, das Betroffene, ihre Angehörigen und Behandler dabei unterstützen soll, nach schweren Operationen oder kräftezehrenden Therapien aus der Mangelernährung heraus- und wieder zu einem guten Appetit zu finden.

Herkömmliche Ansätze ohne nachhaltige Erfolge

„Die Ursachen von Mangelernährung können vielfältig sein. Chemotherapien oder starke Schmerzen sind häufig von ausgeprägter Appetitlosigkeit begleitet. Bei Magen- und Pankreasoperationen werden zwangsläufig Nerven verletzt, die eine wichtige Rolle für das Hunger- und Sättigungsgefühl spielen“, erklärt der Chirurg Prof. Dr. Marc Martignoni vom Klinikum Rechts der Isar in München.

„Studien zeigen, dass viele Betroffene mehr als ein Jahr benötigen, um nach Operationen wieder zu einem positiven Gewichtsverlauf bzw. zu ihrem präoperativ stabilen Gewicht zu gelangen. Erstrebenswert ist jedoch eine Stabilisierung des Gewichts innerhalb von drei Monaten, da dies bereits einen deutlichen Überlebensvorteil, zum Beispiel für Patientinnen und Patienten mit Bauchspeicheldrüsenkrebs, bedeuten kann“, betont PD Dr. Michael Adolph, Präsidiumsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin und Anästhesist an der Universitätsklinik Tübingen, der gemeinsam mit Prof. Martignoni und Alfred Schuhbeck das Ernährungskonzept der hochkalorischen Modulküche entwickelt hat.

Kochen im Modulsystem

„Günstig ist, das Essen auf sechs bis neun kleine Mahlzeiten am Tag aufzuteilen, was zu einer Entlastung von Magen und Darm führt, die Stabilisierung des Gewichts fördert und unabhängig vom faktischen Hungergefühl eingehalten werden sollte. Die empfohlenen Mahlzeiten selbst basieren auf einem modularen Prinzip, sodass aus einem Grundrezept wie einem Tomaten-Aufstrich durch Hinzufügen bestimmter Zutaten ein neues Gericht wie eine Pastasauce oder eine Suppe wird“, sagt Ernährungsmediziner Dr. Adolph.

Diese modulare Ernährungsform, so Alfons Schuhbeck, hat Vorteile: „Die Speisen lassen sich einfach und schnell zubereiten, was angesichts der erforderlichen häufigen Nahrungsaufnahme und der Erholungsbedürftigkeit der Betroffenen unerlässlich ist. Einerseits lassen sich die Grundgerichte leicht aufwärmen und weiter verwenden, andererseits stehen sie vielfältigen Variations- und Verfeinerungsmöglichkeiten offen“, so Sternekoch Alfons Schuhbeck.

Trotz der gezielten Zubereitung hochkalorischer Speisen kann die Ernährungstherapie durchaus gemeinsam mit Angehörigen umgesetzt werden. „Die soziale Komponente des Essens darf nicht unterschätzt werden. Das Konzept der modularen Küche sieht die einfache Variabilität von Speisen, etwa durch die Zugabe von Ölen, vor, sodass gesunde Familienmitglieder dieselben Mahlzeiten ohne Beigabe hochkalorischer Komponenten essen können“, betont Prof. Martignoni.

Alfons Schuhbeck legt bei seinen Rezepttipps besonderen Wert auf die Wirkungsweise von Gewürzen, die zum Beispiel gezielt als Appetitanreger eingesetzt werden können. Zimt zum Beispiel ist nicht nur für seine Blutzucker und Cholesterin senkende Wirkung bekannt, sondern beruhigt ebenso wie Kardamom, Anis und Ingwer den Magen und verstärkt die Bekömmlichkeit von Mahlzeiten. Pfeffer wiederum kann die Entfaltung von Nährstoffen im Körper fördern.

Wichtig ist den Experten ein Grundsatz: „Es gibt keine generellen Verbote bestimmter Lebensmittel oder Zubereitungsformen. Individuelle Verträglichkeit und persönlicher Geschmack geben einen guten Maßstab ab. Ein vernünftiges Essverhalten, das auf die Behebung von Mangelernährung zielt, und Freude an der Ernährung schließen sich in der modularen Küche ein, nicht aus“, so Prof. Martignoni.

Rezepte der Modularen Küche finden Sie hier.

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